Kaum ein Vortrag zum Thema Ernährung hat in den letzten Monaten soviel Wirbel gemacht, wie der Vortrag von Prof. Dr. Dr. Michels mit dem Titel: "Kokosöl und andere Ernährungsirrtümer" (You Tube). Kokosöl sei aufgrund des hohen Gehaltes an gesättigten Fettsäuren ungesünder als Schweineschmalz und reines Gift, war eine der Kernaussagen, die Verbraucher besonders verunsicherte.
Frau Michels hat Medizin studiert, ist Direktorin für Prävention und Tumorepidemiologie an der Uniklinik Freiburg und lehrt an der Prestige-Universität Harvard in Boston, USA. Auch wenn das alles beeindruckend ist, hat es erstmal nichts mit Kenntnissen über Ernährung zu tun. Der Lehrauftrag in Havard am Lehrstuhl für Geburtshilfe, Gynäkologie und Reproduktive Biologie macht die Sache nicht besser. Doch in Deutschland sind Rang und Namen wichtig, so dass Michels bei vielen Lesern schon alleine deshalb große Absenderkompetenz hat. Ob sie auch Ernährung kann, wird nicht hinterfragt. Denn der Leser darf - meines Erachtens zu Recht - annehmen und erwarten, dass man über Themen spricht, in denen man sich auskennt. Und jetzt wird es im Vortrag von Michels abenteuerlich: "Das Kokosöl ist eines der schlimmsten Nahrungsmittel, die Sie überhaupt zu sich nehmen können. Es gibt keine einzige Studie am Menschen, die irgendeine positive Wirkung von Kokosöl zeigt" . Zum einen gibt es eine Vielzahl von Studien und Erfahrungsberichten solcher Art (z.B. die positive Wirkung der mittelkettigen Fettsäuren im Kokosöl im Rahmen der Demenz-Behandlung). Zum anderen würde es das Kokosöl auch nicht automatisch zum schlimmsten Nahrungsmittel machen, wenn es keine gäbe. Möglicherweise gibt es auch keine Studien am Menschen über Mandarinen. Das macht sie noch nicht gefährlich.
Rhetorisch erinnert Ihr Vortrag dann auch stellenweise an Donald Trump: "Kokosöl ist gefährlicher als Schweineschmalz und sie werden mir zustimmen, dass Schweineschmalz nicht besonders gesund ist. Das wissen wir alle." Selbst wenn es alle wüssten, ist das als Argument für eine Wissenschaftlerin ein bisschen dünn. Unter'm Strich wiederholt Michels sinngemäß das alte und schon immer falsche Vorurteil, gesättigte Fettsäuren seien immer böse und ungesättigte immer gut. Und diese Art des Vortrages ist besonders schädlich: Abgesehen von der schon angesprochenen durch den Leser angenommenen Absenderkompetenz schürrt sie den Glauben, ein einziges Lebensmittel könne großen Schaden anrichten. Wieviel Kokosöl nehmen wir denn im Durchschnitt zu uns, als dass dies großen Schaden anrichten könnte? Zudem gelten mittelkettige Fettsäuren, die in signifikanter Menge im Kokosöl enthalten sind, als gut verdaulich und bieten ein rasches Energiesubstrat. Schließlich darf auf die vielen Menschen, die regelmäßig Kokosöl konsumieren, verwiesen werden (auf Bali, Philippinen, Seychellen, u.a.), die damit wunderbar gesund und schlank leben.
Ärgerlich ist diese Art der Berichterstattung vor allem für die vielen Menschen, die in puncto Ernährung alles richtig machen wollen und verunsichert werden, und zwar völlig ohne Not und keinesfalls zielführend. Ernährung ist wesentlich komplexer und es ist ein Irrglaube, der eine Nährstoff, das eine Lebensmittel, diese Chiasamen oder dieser Grünkohl-Smoothie machen den großen Unterschied.
Einige Tage nach ihrem Vortrag im Juli entschuldigte sich Michels öffentlich für die unglückliche Wortwahl: Ihre Aussage seien pointiert und zugespitzt gewesen. Es sei nicht ihre Absicht gewesen, Menschen zu verunsichern, sondern zu informieren. Na, das hat ja gut geklappt.
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